Vanessa und Sylvain haben alles stehen und liegen gelassen, um ihren Lebenstraum von
einer viereinhalbjährigen Weltreise zu verwirklichen. Ihr Abenteuer ist gespickt mit Anekdoten und wunderbaren Erinnerungen. Umso schwieriger ist es, das Erlebte auf wenigen Seiten zusammenzufassen. Vanessa hat aus ihrer «Schublade der Erinnerungen» ein paar besondere Momente hervorgeholt.


Text: Vanessa Pellet-Jedlicka
Fotos: Vanessa und Sylvain Pellet-Jedlicka

Januar 2009. Es beginnt zu schneien, immer dichter fallen die Flocken vom Himmel. Schon bald ist das Deck der Wata mit einer feinen, weissen Schicht überzogen. Enttäuscht beschliessen wir kehrt zu machen. Wir werden für die Umrundung des Kap Hoorn auf milderes Wetter warten und fahren zurück nach Perto Williams gegenüber von Ushuaia. Eineinhalb Jahre ist es jetzt her, dass wir alles stehen und liegen gelassen haben. Alles bedeutet Genf, unsere Jobs, unsere Wohnung, unsere Familien, Freunde und unsere Sicherheit. Warum wir gegangen sind? Weil es Sylvains Kindheitstraum war, über Meere und Ozeane zu segeln. Ozeane haben wir zwei durchquert. Auf dem Atlantik, als wir uns in den berüchtigten Doldrums im Kreis drehten, verloren wir jegliches Zeitgefühl. Wetterprognosen hatten wir keine, nur einen überwältigenden Himmel, den wir bestaunen konnten. Danach folgte der Pazifik. Er ist einfach nur riesig. Wochenlang sahen wir keine Menschenseele. Inmitten dieser unendlichen Weite strandeten wir auf der berühmten Osterinsel, wo uns die «Moai» entgegenblickten und wo wir froh waren, uns mit frischem Proviant eindecken zu können. Unsere Contessa 32 hat nämlich weder Kühlschrank noch Gefriertruhe.

5-STERNE-ANKERPLATZ: CALETTA CINCO ESTRELLA IN FEUERLAND

Vorstellungen und Wirklichkeit

Von Chile ging es in sechs Wochen nach Polynesien. Wir waren froh, endlich in wärmeren
Gefilden zu sein, denn wir kamen aus dem Süden und der bedeutet nicht automatisch warme Temperaturen. Die Kälte begann schleichend, als wir vor der argentinischen Küste hinunter nach Patagonien segelten, zu den Walen und Seelöwen in Feuerland mit seinen unzähligen Kanälen und kleinen «Calettas» am Fuss von kalbenden Gletschern. Dort legt man mit Tauen an Land an, was sich anfangs als ganz schön schwierig erwies. Es gab Tage, da waren wir sechs Stunden unterwegs, nur um sieben Seemeilen zu gewinnen. Und es kam vor, dass der Wind eine Seemeile vor dem Ziel drehte und uns zur Umkehr zwang. Geduscht haben wir mit einer Petflasche, in deren Deckel wir ein Loch gebohrt hatten.

KLEINE SCHWESTER VON BORA BORA: DIE GESELLSCHAFTSINSEL MAUPITI IN FRANZÖSISCH-POLYNESIEN

Die Wata ist rudimentär, Dusche gibt es keine. Was folgte, war Polynesien und ein Leben als Robinsons. Täglich gingen wir auf Unterwasserjagd, um frischen Fisch zu fangen, kletterten auf Palmen, um Kokosnüsse zu pflücken, verarbeiteten die am Boden liegenden Nüsse zu Milch und spazierten nachts über den Strand, um Bärenkrebse einzusammeln. Wir lernten schnell, zwischen Atollen zu navigieren, die Durchfahrten im richtigen Moment zu passieren, Korallengruppen zu vermeiden und in Gesellschaft von Riffhaien zu baden. Und wir verbrachten unendlich viel Zeit im Wasser, um die üppige Flora und Fauna zu bestaunen. Auf einem Segelboot zu leben bedeutet aber auch, sich nach den Elementen und den Jahreszeiten zu richten. Als die Wirbelsturmsaison nahte, hissten wir die Segel und nahmen Kurs auf Neuseeland.

Aus der Schatzkiste der Erinnerungen

Als wir viereinhalb Jahre später zurück in der Schweiz waren, stellte man uns immer wieder die gleichen Fragen: Was war euer schönstes Erlebnis? Und: Habt ihr Stürme erlebt? Beide sind schwierig zu beantworten. Unerwartete Böen, hohe Wellen, Tage und Nächte hart am Wind bei stürmischen Bedingungen, all das haben wir erlebt. Und dann waren da die Schrecksekunden vor Valparaiso, als das Boot kippte und alles, was sich an Deck befand, einschliesslich Verdeck, weggerissen wurde. Schuld war eine Dünung, die von einem Hurrikan in Mexiko stammte, auf die südliche Dünung traf und eine aufgewühlte Kreuzsee verursachte. Wir standen stundenlang in Kälte und Gischt am Steuer, damit sich die Wata nicht bei jeder Welle zur Seite legte. Doch im Nachhinein scheint dieses Erlebnis wie so viele andere bei Weitem nicht mehr so schlimm. Mit dem Erzählen hat es an Intensität verloren und wird von uns eher in die Schublade der Segelanekdoten als in die der schrecklichen Erinnerungen gesteckt.

DER FJORD SENO PIA IM BRAZO NOROESTE, DEM NORDWESTLICHEN ARM
DES BEAGLE KANALS IN PATAGONIEN

Die Schublade der schönen und guten Erinnerungen hingegen ist bis oben voll. Wo anfangen? Da wäre die Grosszügigkeit der Senegalesen, die das Wenige, was sie haben, und manchmal sogar das, was sie nicht haben, mit uns teilen wollten, weil es sie glücklich macht. Oder die Musik und die Lebensfreude Brasiliens, das zum Rhythmus des Lebens tanzt, sowie die atemberaubende Schönheit der Bucht von Rio, wenn man sich vom Meer her nähert. Da wären auch die Gastfreundschaft, die Liebenswürdigkeit und der Humor der Argentinier und der Tango, der sie zum Tanzen bringt. Und die unglaublichen und umwerfenden Landschaften Feuerlands mit dem schwierigen Klima, das die zwischenmenschlichen Beziehungen ehrlicher macht.

Nicht zuletzt wäre da das kristallklare Wasser des polynesischen Dreiecks mit seinen hohen Inseln und Atollen, die so alt sind, dass man sich darin mitten im Ozean wähnt, wenn sich die Wellen nicht an der halb unter Wasser liegenden Riffplatte brechen. In derselben Schublade finden sich Begegnungen mit anderen Seglern, spontane Partys an Land oder an Deck bei einem Zwischenstopp oder an einem einsamen Ankerplatz. Auch Freundschaften, die wir mit Einheimischen knüpften, sowie ihr Wunsch, uns ihr Know-how zu zeigen und uns zu beschenken, gehören dazu. Und immer kam der Moment, in dem wir uns verabschieden mussten. Meistens gab das Wetter den Zeitpunkt vor. Das Wetter war in den viereinhalb Jahren so ziemlich das Einzige, was uns in unserer Freiheit einschränkte. Unsere grossartige Reise hat uns selbstsicherer und zuversichtlicher gemacht. Wir haben keine Angst mehr, unsere Träume zu verwirklichen, unseren Wünschen nachzugeben und unsere Zukunft danach zu gestalten. Kaum waren wir zurück in der Schweiz, packte uns das Fernweh. Wir wollten wieder segeln und hatten auch schon eine Idee für ein neues Projekt. Vier Jahre später, im September 2016, lichteten wir erneut den Anker. Diesmal kreuzten wir mit unserem kleinen Sohn zwei Jahre auf dem Mittelmeer. An Bord der Siwa entdeckten wir auch «unsere Insel», wo wir beschlossen, vor Anker zu gehen. Wie lange wir hier bleiben, wird sich zeigen. Segeln ist Teil unseres Lebens, wir möchten daran festhalten und vor allem unsere Leidenschaft mit anderen teilen. Unser Abenteuer geht auf unserem dritten Boot, der Salona 44 Sousouni, weiter. In den wunderschönen Kykladen – unserem «kleinen Polynesien» – bieten wir Törns und Segelkurse ab Syros an.

Nähere Infos zu den Törns und Segelkursen, die Vanessa und Sylvain
auf ihrem Boot in Griechenland anbieten, finden Sie hier: capsiwa.ch

STURM AUF MAKEMO IM TUAMOTU-ARCHIPEL