Der Genfer ist auf seiner neuen Jacht an der Vendée Arctique endlich durchgestartet und kämpfte dort bis zum Schluss um einen Spitzenplatz. Er hat zwar noch Luft nach oben, aber die Saisonbilanz kann sich sehen lassen.

Text: Grégoire Sudez

Alan Roura hat sich mit seinem neuen Projekt ganz schön unter Druck gesetzt. Als er Alex Thomson die Hugo Boss abkaufte und mit Hublot einen Hauptsponsor an Land zog, der perfekt zum britischen Geschoss passt, wurde er wohl oder übel zum Headliner, bevor er auch nur einen Schlag gesegelt war. Er weckt hohe Erwartungen und wird quasi auf Schritt und Tritt beobachtet. Den Herbst und Winter verbrachte er damit, sich auf die grosse Aufgabe vorzubereiten und sein Team aufzubauen. Zwar verfügte er bereits über eine solide Basis, aber der hohe Standard des Hublot Sailing Teams verlangte nach mehr. Sein professionelles Umfeld musste wachsen.

Dieser Aspekt des Profi-Segelsports wird in der Öffentlichkeit gern vergessen. Man sieht die Solisten meist nur als Helden der Meere. Dass sie gleichzeitig die Aufgabe von Handelsvertretern, Schiffsmechanikern, Ingenieuren, Bastlern, Meteorologen, Schöngeistern und Rhetorikern wahrnehmen, wird ausgeblendet. Alan Roura ist ein Paradebeispiel für diesen Schlag Menschen: ein vielbegabter Tausendsassa wachsenund doch in erster Linie ein bekannter und angesehener OffshoreSegler. Man bestreitet nicht einfach so zwei Vendée Globes, eine Route du Rhum und zwei Jacques Vabres und stellt einen Einhand-Atlantikrekord bei den Einrumpfbooten auf, wenn man nicht extrem viel auf dem Kasten hat. Das Meer ist seine Spielwiese, dort fühlt er sich in seinem Element und will mit seiner Hublot die Vendée Globe 2024 gewinnen. Klingt überheblich, ist es aber keineswegs. Mit einem solchen Boot und einem solchen Sponsor muss er einfach nach den Sternen greifen.

Aufwärmübung

Bis zu diesem grossen Ziel sind es noch ganze zwei Jahre. Eine lange Zeit, die wohl auch den verhaltenen Einstieg in die Saison 2022 erklärt. Am Guyader Bermudes 1000 traf Alan Roura erstmals auf seine Konkurrenten der IMOCAKlasse. Eigentlich hätte man dort mehr von ihm erwartet. Auch er war über den enttäuschenden 15. Platz nicht wirklich erbaut, wusste ihn jedoch richtig einzuordnen: «Die Platzierung ist nicht so toll, das stimmt schon, ich hatte mir für mein Comeback in der Einhandszene aber diesbezüglich kein Ziel gesetzt. Wir haben uns in einem sehr engen Zeitrahmen auf das Rennen vorbereitet und diese erste Erfahrung mit der Hublot war sehr lehrreich. Ich konnte mich mit dem Boot vertraut machen, meine Automatismen wiederfinden und am Trimm feilen. Vor allem aber habe ich schon einigen Verbesserungsbedarf erkannt und weiss, woran wir noch arbeiten müssen.»

Auf einer Strecke, die nicht wirklich auf die Hublot zugeschnitten war, litt die Jacht ebenso wie der Segler. Das Guyader Bermudes 1000 diente beiden als Testlauf. Am zweiten Rennen, der Vendée Arctique, waren die Fortschritte denn auch spürbar. Sie sagte deutlich mehr über das Potenzial von Boot und Skipper aus, denn die Einhandsegler erlebten dort Bedingungen wie an einer Vendée Globe oder einer Route du Rhum. Zum Auftakt versammelten sich die Skipper der letzten Vendée Globe in Les Sables d’Olonne zu einer Parade. Sie waren an der «Pandemie»-Ausgabe des Publikums beraubt worden und konnten jetzt nachträglich den Jubel geniessen. Das Bad in der Menge vor dem Wellenritt weckte bei vielen schöne Erinnerungen und stimmte die Segler auf die bevorstehende Vendée Arctique ein.

Radikale Routenwahl

Gleich nach dem Startschuss am 12. Juni hoben sich die 25 Boote auf ihre Foils und rauschten mit Highspeed aufs Meer hinaus. Ganze 24 Stunden dauerte der wilde Ritt, bevor die Flotte auf dem Weg Richtung Island in einen Hochdruckkeil geriet, der auf den furiosen Temporausch eine taktische Runde folgen liess. Die Schwertjachten entschieden sich für die direkte Ostroute, die anderen segelten entweder mitten durch den Käse oder versuchten ihr Glück im Westen. Zu ihnen gehörte auch Alan Roura. Er wählte sogar die extremste Route und fiel dadurch auf den 24. und letzten Platz zurück. Doch die Rangliste trügte.

«Ich war von Anfang an ziemlich zufrieden mit meiner Routenwahl. Sie war radikal und riskant», räumte Alan Roura ein, «doch konsequent im Westen zu bleiben hat sich schlussendlich ausgezahlt. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man ein Boot nach dem anderen überholen und das Rennen zu Ende bringen kann. Ich gehe gerne Risiken ein, neige aber auch dazu, meine Ideen nicht durchzuziehen, sondern meine Meinung vorher zu ändern. Das war diesmal anders, ich habe mich an meinen Plan, den ich bereits vor dem Start im Kopf hatte, gehalten. Das gibt mir Selbstvertrauen für die weitere Saison.»

Diesen Sommer geht die Hublot für ein paar kleinere Reparaturarbeiten in die Werft. Alan Roura wird die Pause nutzen, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen, bevor er zum Offshore-Training wieder in See sticht. Er möchte ein paar Änderungen an den Segeln vornehmen, «denn einige sind langsam durch», erklärt er. Ansonsten werde er die Hublot so lassen, wie sie ist, grössere Anpassungen brauche es keine. «Die Hublot ist ein tolles Boot und absolut konkurrenzfähig. Sie setzt mir keine Grenzen, wenn jemand bremst, dann ich. Eine solche Ausgangslage ist einfach nur genial.»

Vernünftiger Rennabbruch

Obwohl die Vendée Arctique wegen eines heranrollenden Sturmtiefs gekürzt wurde, gibt sie Alan Roura wichtige Anhaltspunkte und stimmt ihn zuversichtlich: «Es war der Hammer, es gab Tage, da erreichte die Hublot eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 Knoten. Ich bin wieder da! Für meinen Geschmack wurde die Regatta etwas zu früh abgebrochen. Dort, wo ich mich befand, waren die Bedingungen allerdings noch nicht ganz so heftig wie weiter hinten, wo der Sturm mit 60 Knoten wütete. Um Schlimmeres zu verhindern, war der Abbruch wohl die vernünftigste Lösung.»

Alan Roura querte die neue Ziellinie südöstlich von Irland als 7. Allfälligen Zweiflern schickte er eine klare Botschaft: «Ich habe bis zum Schluss hart gekämpft und bin weniger als eine Stunde hinter Louis Burton auf Bureau Vallée ins Ziel gekommen. Das ist gut, denn es zeigt, dass ich dabei bin.» Eine gezielte Aussage, mit der er seinen Konkurrenten im Hinblick auf den ersten wichtigen Termin diesen Herbst in Saint-Malo Druck aufsetzt.