Text: Quentin Mayerat

Foils wurden von den grossen Werften lange stiefmütterlich behandelt. Jetzt scheinen die
Tragflügel aber dank einer Handvoll Startupper aus der Regattaszene kurz davor zu stehen, auch im Motorbootsegment Einzug zu halten.

Über 150 Jahre nachdem Thomas Moy zwei Tragflügel unter einer Schaluppe befestigte und diese dann von einem Pferdegespann einem Kanal entlangziehen liess, zeigt die Motorbootindustrie zunehmend Interesse an der Foiler-Technologie. Experimentiert wurde natürlich bereits früher. In den 1970er-Jahren betrieb die US Navy foilende Schnellboote der Pegasus-Klasse und auf den norditalienischen Seen werden noch immer Hydrofoiler für den schnellen Fährdienst eingesetzt. Die Entwickler steckten aber schon bald in einer Sackgasse. Sie
bekamen die Steuertechnik für die Foils und die Kompositkonstruktion nicht in den Griff und stellten die Produktion ein. Als vor zehn Jahren der Foiling-Hype im Segelsport ausbrach, schwappte die Welle mit Unterstützung einiger Start-ups auf die Motorbootindustrie über. Hydros
Innovation, das heute der Dubaier Gruppe Enata Industries gehört, und das französische Unternehmen SEAir sind die Vorreiter der modernen Tragflügel-Motorboote.

DIE BIS ZU 48 KNOTEN SCHNELLEN PEGASUS-HYDROFOILS DER US NAVY WURDEN 1993 ENDGÜLTIG AUS DEM VERKEHR GEZOGEN. SIE WAREN FÜR DIE ZWECKE DER ARMEE NICHT EFFIZIENT GENUG, DA SIE AUS TECHNOLOGISCHEN GRÜNDEN AUF 40 METER LÄNGE BESCHRÄNKT WAREN.

Vom Segel- aufs Motorboot

Jérémie Lagarrigue, CEO von Hydro Innovations und Gründer von Hydros, ist überzeugt, dass Foils im Segelsport neuen Auftrieb bekamen, weil sie die Antwort auf ein sportliches Problem waren. „Die Regatten haben eindrücklich belegt, dass das System funktioniert.“ Nachdem er mit dem Tragflächen-Katamaran Hydroptère zahlreiche Erfolge gefeiert, mehrere Geschwindigkeits-Weltrekorde gebrochen und auch zweimal am America’s Cup teilgenommen hatte, setzte er sich in den Kopf, sein Wissen im Motorbootsegment umzusetzen. „Mit der Foiler-Technologie kann sowohl der Komfort als auch die Energieeffizienz der Boote verbessert werden“, betont der Unternehmer. Sozusagen als Initialzündung für die Technologie wurde die foilende 41-Fuss-Luxusjacht Foiler Spirit gebaut. „Bei ihrer Entwicklung haben wir den Flugsimulator, den wir für den Hydroptère und den America‘s Cup gebaut hatten, zu Hilfe genommen. Ein effizientes Trimmsystem macht die Foilerjacht äusserst stabil“, erklärt Jérémie Lagarigue. Das Ergebnis ist ein Traum: ein futuristisches Gefährt mit Hybridantrieb (bis 10 Knoten voll elektrisch), das sich ab 17 Knoten per Knopfdruck aus dem Wasser hebt und bei einer Marschgeschwindigkeit von 20 Knoten eine Reichweite von 260 Seemeilen hat. Kostenpunkt: eine knappe Million Euro.

DIE MOTORBOOTINDUSTRIE KONNTE VIEL VON DEN ERKENNTNISSEN DER SEGELBRANCHE LERNEN. IN EINIGEN JAHREN WIRD WOHL ERNEUT EIN WISSENSTRANSFER STATTFINDEN, DIESMAL ABER IN UMGEKEHRTER RICHTUNG.

„Die Herstellungskosten der ersten Einheiten, insbesondere der Foils, waren so hoch, dass wir zunächst versuchen müssen, im Hochpreissegment Fuss zu fassen, bevor wir unsere Methoden auf andere Sektoren anwenden“, rechtfertigt Jérémie Lagarrigue die Ausrichtung auf das Luxussegment. Erschwinglicher, aber technologisch weniger ausgereift ist das foilende RIB des Unternehmens SEAir. „Wir wollen damit einen breiten Markt erschliessen“, sagt Bertrand Castelnérac, Mitbegründer von SEAir. Auf die Idee für das fliegende Schlauchboot seien sie gekommen, als sie auf dem GC32 segelten und ihr Coach ihnen nicht folgen konnte. „Da wussten wir: Wir brauchen ein foilendes Schlauchboot!“ Gesagt, getan. „Da aber zuvor noch keine Marke ein solches Modell gebaut hatte, mussten wir uns ganz auf die Erfahrungen verlassen, die wir mit unserem Ingenieurbüro für Regattasegeln gesammelt hatten.“ Bei den halbstarren SEAir namens Flying RIB handelt es sich um umgerüstete Zodiacs mit einer Länge von 5,5 oder 7 Metern. Die Foils sind in einem Schacht im Festrumpf installiert und seitlich verstellbar. Aufgeholt schmiegt sich ihre Form an den Rumpf. Gemäss den Angaben der Werft können bis zu 30 Prozent Sprit eingespart werden und der Fahrkomfort wird massgeblich erhöht. „Mit Foils ist man immer besser bedient, denn die Höhe der Wellen reduziert sich proportional zur Flughöhe“, sagt Bertrand Castelnérac.

Saubere Energien als Ziel

Komfort und Energieeffizienz sind also die stichhaltigsten Argumente für foilende Motorboote. Reicht das, um ihren Einsatz künftig an breiter Front zu sichern? Bertrand Castelnérac ist überzeugt: „Bis zu einer gewissen Grösse profitiert jedes Boot, wenn es fliegen kann.“ Und auch Jérémie Lagarrigue gibt sich zuversichtlich: „Wir setzen auf unseren Produktivitätsgewinn, um in einem zweiten Schritt in den Markt der Berufs- und Transportschiffe einzusteigen und Foiler mittelfristig der breiten Öffentlichkeit anbieten zu können.“ Er glaubt, dass diese Perspektiven den Bootsbau stark beeinflussen werden und Enata dank Hydros der Konkurrenz diesbezüglich einen grossen Schritt voraus sein wird: „Die Designer müssen umdenken und wieder lernen, Boote zu entwerfen, denn es ist nicht ganz einfach, ein Boot stabil und effizient zum Fliegen zu bringen. In dieser Hinsicht haben wir einen Riesenvorteil. Wir können mit unserem Flugsimulator sozusagen jeden Foiler innerhalb einer Woche zeichnen“, versichert er. Für den CEO von Hydro Innovations liegt die Zukunft der foilenden Motorboote allerdings in ihrer Kopplung an einen elektrischen Antrieb. „Durch den geringeren Widerstand wird der Energieverbrauch reduziert und das könnte den Verzicht auf Verbrennungsmotoren zugunsten von Wasserstoff-Brennzellen begünstigen. Verbrennungsmotoren werden in absehbarer Zeit von den Gewässern verbannt und müssen durch Elektromotoren ersetzt werden. Ich glaube, dass Wasserstoff eine gute Alternative ist, schliesslich wird die Technologie schon seit 50 Jahren im Weltall getestet. Die Motoren müssen nicht mehr nach mehreren hundert Stunden, sondern erst nach mehreren Zehnttausend Stunden Betrieb gewartet werden!“ Die aktuellen Tragflächen stossen aufgrund der Kavitation der Foils bei 50 Knoten an ihre Grenzen. „Wir sind momentan nicht in der Lage, Foils zu zeichnen, die bei höheren Geschwindigkeiten eingesetzt werden können“, bestätigt Jérémie Lagarigue. Da die ökonomische Geschwindigkeit eines Rumpfs von seiner Länge abhängt, müssen Schiffe von über 30 Metern mehr als 50 Knoten erreichen, um abzuheben. Auf Seair Frachtschiffen werden wir daher wohl kaum Tragflächen sehen, auf Fahrtenjachten könnte sich die Technologie aber durchaus grossmehrheitlich durchsetzen. Davon träumen zumindest unsere Startupper.


Energieeffiziente Boote von morgen
Hydros organisiert seit 2014 jedes Jahr den internationalen Hochschul-Wettbewerb Hydrocontest. Er soll dazu beitragen, Energieeffizienz im Seeverkehr zu fördern. Studierende aus aller Welt entwerfen und gestalten Boote, die möglichst wenig Energie verbrauchen. Jedes teilnehmende Team tritt mit seinem Prototypen zu verschiedenen Prüfungen an, bei denen das am präzisesten steuerbare, energieärmste und schnellste Schiff ausgezeichnet wird. Der Wettbewerb will zukünftige Ingenieure und Konstrukteure für effiziente nautische Technologien sensibilisieren. Dabei sollen Konzepte entstehen, die auch in der Industrie Anwendung finden. Der letzte Hydrocontest fand im September im alten Hafen von Saint-Tropez statt.
Infos: hydrocontest.org