Wer den America’s Cup gewinnen will, muss schon bei der Vorbereitung alle Hebel in Bewegung setzen. Alinghi Red Bull Racing betreibt daher trotz Wettlauf gegen die Zeit eine gezielte Talentsichtung. Um für den Youth & Puig Women’s America’s Cup ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen, hat das Schweizer Syndikat einen ungewöhnlichen Selektionsprozess eingeführt.

Text: Quentin Mayerat
Fotos: Loris von Siebentha

Vor der Société Nautique de Genève herrscht reges Treiben. In einer lockeren Atmosphäre arbeiten gut zwanzig junge Frauen und Männer an einer Vielzahl von Workshops, deren Bezug zum Segelsport nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist. Sie bilden ohne Plan Origamis und alle möglichen geometrischen Formen nach, testen die Reflexe an Blazepods (LED-Geräte, die nach dem Zufallsprinzip aufleuchten) oder strampeln sich auf einem Hometrainer ab. Nach einer ersten Selektion anhand der Bewerbungsunterlagen hat Alinghi Red Bull Racing diesen Sommer die zweite Rekrutierungsphase für den Youth & Puig Women’s America’s Cup in Angriff genommen. Insgesamt 69 Jugendliche und Frauen wurden an drei Tagen, verteilt auf drei Veranstaltungen in Thun, Brunnen und Genf, auf Herz und Nieren getestet.

Ein Rennen im Rennen

Noch nie hatten Jugendliche und Frauen an einem America’s Cup einen so hohen Stellenwert. Zwischen den Challenger Selection Series im September 2024 und dem America’s Cup Match im Oktober 2024 werden alle Scheinwerfer auf sie gerichtet sein. Dann haben zwölf Nationen – die fünf Challenger, der aktuelle Defender und sechs Gastländer – an Bord der strikten AC40-Einheitsjachten ihren grossen Auftritt. Coraline Jonet, ein Alinghi-Mitglied der ersten Stunde, zieht als Projektmanagerin die Fäden. Man müsse sich bewusst sein, dass die AC40 echte Kampfmaschinen seien, sagt sie. «Jede und jeder kann damit geradeaus segeln, aber wenn auf engem Raum regattiert wird, zeigen sie ihr wahres Gesicht und garantieren viel Spektakel.» Die Geschosse knacken problemlos die 30-Knoten-Marke und werden von vierköpfigen Teams gesegelt, je einer Steuerfrau oder einem Steuermann und einer Trimmerin bzw. einem Trimmer pro Bord. Seitenwechsel sind tabu, da viel zu gefährlich. «An Bord muss alles sehr speditiv ablaufen. Wer sich Gewinnchancen ausrechnen will, muss schnell und intelligent segeln und vor allem mit Druck umgehen können», weiss Matìas Bühler, der frühere Olympionike und heutige Headcoach der künft igen Frauen- und Juniorenteams. Weder die Kraft noch das Gewicht der einzelnen Mitglieder wird matchentscheidend sein, denn die Teams werden gewogen, damit sie alle gleich schwer sind, und die gesamte Steuerung ist automatisiert. Nichtsdestotrotz stellt die Beherrschung der Ungetüme bei einem solchen Tempo die Teamanwärterinnen und -anwärter vor eine grosse Herausforderung.

DIE 69F IST IDEAL, UM DIE FOILER-FÄHIGKEITEN ZU TESTEN.

Teamgeist

Zurück zur SNG. Für die dritte und letzte Selektionsphase, in der die zwanzig Finalistinnen und Finalisten bestimmt werden, für die das Abenteuer diesen Herbst in Barcelona weitergeht, hat Alinghi Red Bull Racing eine ganze Reihe Tests erarbeitet. Dazu gehört laut Coraline Jornet selbstverständlich das Segeln auf einer 69F und auf dem Simulator. Daneben hätten sie aber auch zahlreiche Spiele vorbereitet. «Damit testen wir Teamgeist, Kreativität, Führungsqualitäten sowie körperliche und kognitive Fähigkeiten.» Es gibt keine direkten Ausscheidungsprüfungen und alle scheinen sich ohne allzu grossen Druck und gut gelaunt den Aufgaben zu stellen. Rivalität ist keine zu spüren. Im Gegenteil, die Kandidatinnen und Kandidaten werden zur Zusammenarbeit ermutigt und unterstützen sich gegenseitig. «Genau das suchen wir in einer Crew», sagt Matìas Bühler. Arno de Planta, der gerade ein Medientraining unter der Leitung der Pressesprecherin Sophia Urban absolviert hat, sagt begeistert: «Ich fi nde den Ansatz sehr intelligent, denn er ist darauf ausgelegt, den Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen.»

Werden die letzten die ersten sein?

Bei anderen Challengern segeln Nachwuchstalente seit mehreren Monaten aktiv auf den AC40, nicht so bei Alinghi Red Bull Racing, das methodisch sein eigenes Tempo verfolgt. Wie kommt es, dass das Schweizer Syndikat so gelassen an die Sache herangeht, wo doch die Zeit drängt und jede Stunde auf dem Wasser kostbar ist? «Fünf Segler unseres aktuellen Teams waren am Youth America’s Cup dabei», lautet Coraline Jonets knappe Antwort. Sie spielt damit auf die erfolgreiche Ära von Team Tilt am Youth America’s Cup 2013 und 2017 an, aus der zehn Jahre später ein Pool aus Weltklasseseglern hervorgegangen ist. Alinghi Red Bull Racing will das Pferd nicht vom Schwanz her aufzäumen. Das Team weiss aus Erfahrung: Gut Ding will Weile haben, schliesslich hat diese Strategie am America’s Cup schon zweimal funktioniert. Die Schweizerinnen und Schweizer werden im Regattarevier von Barcelona auf jeden Fall mit dem Messer zwischen den Zähnen segeln. Alinghi Red Bull Racing versucht derweil, Die Anforderungen von heute mit den Plänen von morgen zu verknüpfen und mit einer langfristigen Vision die Weichen für die Zukunft zu stellen. Für die meisten der in Genf anwesenden Nachwuchstalente wie Morgane Lauber, die vom Selektionsausschuss in Genf den Preis «Coup de Coeur» erhielt, ist die Selektion die Chance ihres Lebens.

AUCH KOGNITIVE TESTS GEHÖRTEN ZUM SELEKTIONSPROGRAMM.

Die Finalistinnen und Finalisten


Women
Nathalie Brugger Gstaad Yacht Club / CV Estavayer / CN Morges
Anja Camusso* YCAs / SNNY
Maud Jayet Lutry / Société Nautique de Genève
Marie Mazuay* Société Nautique de Genève
Elodie-Jane Mettraux COYCH Hyères
Laurane Mettraux Club Nautique de Versoix
Maja Siegenthaler Thunersee-Yachtclub
Alexandra Stalder* Circolo Vela Torbole
Anja von Allmen* Gstaad Yacht Club / Regatta CLub Oberhofen / Yacht Club Spiez

*Am Youth America’s Cup teilnahmeberechtigt

Youth
Andrea Aschieri Société Nautique de Nyon
Arno de Planta Société Nautique de Genève / Cercle de la Voile de Vidy
Arnaud Grange Société Nautique de Genève
Morgan Lauber Club Nautique Morges
Janik Müller DRCS / SCR
Joshua Richner Gstaad Yacht Club / Thunersee-Yachtclub
Nilo Schärer Thunersee-Yachtclub / Gstaad Yacht Club / Regatta Club Oberhofen
Jann Schüpbach Thunersee Yachtclub / Regattaclub Oberhofen
Matthieu Sistek Club Nautique de Lutry
Gauthier Verhulst Gstaad Yacht Club / Club Nautique Pully
Nick Zeltner Regatta Club Oberhofen